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Kais Buchtagebuch – Tanja Kinkel – „Die Schatten von La Rochelle“ (BRD, 1996)

09 Jan
Kais Buchtagebuch – Tanja Kinkel – „Die Schatten von La Rochelle“ (BRD, 1996)

Es gibt Figuren, die sind über ihre ursprünglichen Werke hinaus gewachsen, sodass man diese nicht kennen muss, um sie zu kennen. Darth Vader wäre so ein Beispiel. Ein ikonisches Outfit, ein markantes Auftreten, gut, es hilft in diesem Fall auch, dass Star Wars-Charaktere auf so ziemlich allem abgebildet sind, womit sich Kohle scheffeln lässt. Sherlock Holmes ist ein Beispiel, das durch seine unzähligen Inkarnationen im allgemeinen Gedächtnis ist. Jeder kann etwas mit diesem Namen etwas anfangen. Ebenso ist es mit dem Widersacher der drei Musketiere (und D´Artagnan plus Gastauftritt in Alatriste).

Nun ist der Kardinal nicht die Hauptfigur in „Die Schatten von La Rochelle“, auch, wenn sich die ganze Handlung schlussendlich um ihn dreht. Nein, bisweilen tritt er gänzlich in den Hintergrund und man verfolgt das Tun seiner Nichte Marie von Aiguillon. Und natürlich wäre eine Geschichte dieser Zeit nichts ohne eine zünftige Verschwörung, nämlich den letzten Versuch eines Mordanschlags auf Richelieu, angestoßen von seinem ehemaligen Schützling Cinq-Mars.

Unterbrochen wird die Erzählung immer wieder durch Rückblicke, die die weiteren Hintergründe und den Werdegang des Kardinals erklären (darum verzichte ich hier auch auf eine detaillierte Erläuterung, was es mit der titelgebenden Hafenstadt auf sich hat. Nur kurz, das saßen die Hugenotten drin, und die waren nicht nur wegen ihres Glaubens, sondern auch ihrer Kontakte zu England dem Kardinal ein Dorn im Auge).

Neben den historisch verbürgten Figuren und Tatsachen webt Tanja Kinkel auch das eine oder andere erfundene Element mit hinein. Das ist im Falle des Attentäters ganz stimmig, die Zofe von Marie wirkt allerdings etwas weniger passend, mit ihrer Romanze mit einem missionierten Ureinwohner des amerikanischen Kontinents. Man könnte fast meinen, hier sollen klischeehafte Hausfrauenträume bedient werden. Glücklicherweise kommt das nur ganz am Rande vor.

Richelieu wird hier völlig entgegen seinem Bild aus Musketieren und Co. dargestellt. Er ist zwar ehrgeizig, und scheut sich nicht, drastische Maßnahmen anzuwenden, um seine Ziele zu erreichen, dennoch ist es nicht die pure Boshaftigkeit und Machthunger, die ihn antreibt. Er möchte eigentlich nur die französische Krone, beziehungsweise den Staat Frankreich erhalten.

Nun schrieb ich zwar, dass die Hintergründe erklärt werden, aber längst nicht alle, und es hilft, wenn man zumindest ein wenig Vorwissen hat, oder zumindest die Musketiere schon mal gelesen hat (etwas, das ohnehin jeder mindesten einmal im Leben gemacht haben sollte). Dann versteht man manche Hinweise und Anspielungen auf Begebenheiten und man lässt sich nicht so leicht von den verschiedenen Titeln und Anredeformen der hohen Damen und Herren aus der Fassung bringen. Das sorgt zwar für authentisches Flair, könnte aber den unvorbereiteten Leser etwas auf dem falschen Fuß erwischen. Etwas gewöhnungsbedürftig könnten auch die Perspektivenwechsel innerhalb einer Seite sein.

Noch ein Wort zur Autorin. Tanja Kinkel ist mittlerweile bekannt für ihre historischen Romane (im Februar kommt der neueste davon raus, irgendwas mit den Brüdern Grimm und Morden, und ja, das ist ein zeitlicher Zufall). Das hier ist jedenfalls schon der zweite, den ich von ihr lese. Ich fand das Buch sehr unterhaltsam, leicht verständlich geschrieben (mal von den verschiedenen Titeln und Anreden abgesehen) und fand es nett, mal einen Blick auf den menschlicheren Richelieu zu werfen. Dennoch möchte ich den miesen Schurken nicht missen.

 

Gelesen habe ich die Ausgabe des Goldmann Verlags, für die Umschlaggestaltung zeichnet das Design Team München verantwortlich, unter zuhilfenahme eines Fotos von Artothek/Christie´s, Claude Joseph Vernet.

 
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Verfasst von - Januar 9, 2018 in Buchtagebuch, Kurzes Tagebuch

 

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